Betende Frau in einem Gottesdienst (Symbolbild)
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Zungenrede: Wenn der Heilige Geist aus den Menschen spricht

Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. "Pfingstkirchen" berufen sich auf die persönliche Gotteserfahrung, auf den Heiligen Geist. Oft wird der in "Zungenreden" erfahren, einer Art religiöse Ekstase. Die ist umstritten – seit biblischen Zeiten.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Feiertag am .

Mitch Sayers weiß noch genau, wann er das erste Mal in Zungen gesprochen hat. In Niedersachsen, vor vielen Jahren, ging er in einen Gottesdienst, erinnert er sich. Am Ende kam der Prediger zu ihm und legte ihm die Hand auf die Stirn. Plötzlich fängt Sayers an, unkontrolliert zu sprechen. Er fühlt sich "elektrisch", wie er sagt. "Das war einfach etwas, was mich überwältigt hat. Ich konnte auch nicht so einfach aufhören."

Zungenrede – erfüllt vom Heiligen Geist

Auch als der Gottesdienst schon vorbei und er zu Hause war, selbst in der Nacht noch, habe er "in Zungen" gesprochen. Es habe sich wie "Ströme des lebendigen Wassers" angefühlt, erzählt er. "Und mir gefiel das Gefühl, dass dieser Strom durch mich ging und ich wollte das nicht stoppen. Solange Gott das machen wollte, wollte ich mitmachen sozusagen."

Sayers glaubt, der Heilige Geist habe ihn erfüllt. In den folgenden Jahren habe er oft erlebt, dass Gott ihm Türen geöffnet habe. Der Heilige Geist sei der Grund, warum er heute Pastor sei, in der apostolischen Pfingstgemeinde Felsenhaus in München.

An Pfingsten sandte Gott laut Bibel den Heiligen Geist

Pfingstgemeinde heißt: Der Heilige Geist spielt eine zentrale Rolle, denn zu Pfingsten sandte Gott – laut Bibel – den Heiligen Geist zu den Jüngern Jesu hinab. Diese Präsenz Gottes zu erfahren, darum geht es für Sayers bei der Zungenrede. Er meint damit unkontrollierte Äußerungen, in eigener und fremder Sprache, verständlich oder unverständlich.

Er unterscheidet ein ruhiges, persönliches Zungengebet im Alltag von dem, was während eines Gottesdienstes vorkommen kann. Wenn, in atmosphärischen Momenten, die Gläubigen die Hände hochhalten und jemand plötzlich in Zungen spricht. Da werde auch mal geweint, sagt Sayers. Jemand anderes lege danach aus, was die Botschaft bedeute.

In Deutschland hat die Pfingstbewegung etwa 300.000 Mitglieder, die sich auf die verschiedenen Pfingstkirchen, charismatischen Erneuerungsbewegungen und etwa 300 freie Gemeinden verteilen.

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Pastor Mitch Sayers

Phänomen zu allen Zeiten des Christentums

Die evangelische Theologin und Publizistin Johanna Haberer bezeichnet – nicht ganz ernst gemeint – Zungenrede als "einen Orgasmus mit Gott". Aber tatsächlich sei es "ein sehr gutes und erhebendes Gefühl und unvergesslich für Menschen, die dafür begabt sind". Nicht alle Menschen seien dafür begabt, meint sie und zieht einen Vergleich zu musikalischen Menschen und welchen, die eher unmusikalisch seien.

Es sei auf jeden Fall ein Phänomen, das es zu allen Zeiten des Christentums in unterschiedlichen Kulturen gegeben habe, unabhängig von den charismatischen Bewegungen, die sich heute ganz besonders auf die Kraft des Heiligen Geistes berufen und daher Pfingstkirchen genannt werden.

Form der Ekstase

In der Entstehungszeit des Christentums ist diese Form der Ekstase auch verbreitet gewesen. Der Apostel Paulus schrieb laut biblischem Bericht im Korintherbrief sinngemäß, solche Zustände könnten für die persönliche Erbauung wunderbar sein – sie seien eine "Geistgabe". Zugleich warnte er aber vor einer Art Zwei-Klassen-Christentum: einer Trennung zwischen denen, die in Zungen sprechen und sich dadurch nah bei Gott fühlen, und den anderen.

Viel später, in den 1970er Jahren, so fasst es Johanna Haberer zusammen, entstand in katholischen und evangelischen Gemeinden eine Erneuerungsbewegung. Die Charismatiker hätten aufbegehrt gegen ein rationales, ernstes Christentum, welches vor allem der Protestantismus seit der Aufklärung propagiert habe.

Doch es sei genau das passiert, wovor der Apostel Paulus gewarnt hatte, sagt die emeritierte Theologieprofessorin: "Die einen fühlten sich besser als die anderen, die anderen verstanden es nicht. Also es hat zu einer gewissen Diskussion, auch zu manchen Verwerfungen geführt, fälschlicherweise, wie ich finde, es sollte da eine große Toleranz sein."

Charismatiker und Volkskirchen haben sich arrangiert

Mittlerweile hätten sich die Charismatiker und die Volkskirchen miteinander arrangiert, sagt Haberer. Mit der biblischen Pfingstgeschichte verbindet die Theologin die Zungenrede übrigens eher nicht. Da gehe es darum, dass durch die Präsenz des Heiligen Geistes Menschen unterschiedlicher Herkunft plötzlich einander verstanden – eine politisch-soziale Botschaft.

Doch Pastor Sayers von der Münchner Pfingstgemeinde sieht auch in der Erfahrung, die man in der Zungenrede erleben könne, eine transformative Kraft, die Möglichkeit, die Gesellschaft zu heilen. Viele Konflikte ließen sich seiner Meinung nach "durch die Kraft des Heiligen Geistes" lösen. Sein Leben jedenfalls habe sich durch den Heiligen Geist bereits vollkommen verändert.

Dieser Artikel ist erstmals am 17. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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